Fotoalben wurden lange Zeit ausschließlich dem fotografischen Amateurbereich zugeschrieben und fanden nur wenig Beachtung. Mit wachsendem Interesse für materielle Voraussetzungen des Sammelns und Archivierens, gewinnen mittlerweile auch Fotoalben die Aufmerksamkeit von Museen, Archiven und Fachmagazinen. Doch wie lassen sich Fotoalben archivieren und wie lassen sich diese individuellen Archivalien zugänglich machen? Weiter noch, wie lassen sich diese Objekte überhaupt zeigen, die man umblättern muss und deren Inhalte neben Fotografien teils auch andere Materialien hervorbringen wie Zeitungsartikel, Zeichnungen oder Beschriftungen? Und warum werden Fotoalben zu einem (öffentlichen) archivarischen Gegenstand, obwohl sie oftmals rein private Geschichten beinhalten? Angefangen bei der Materialität eines Fotoalbums und seiner Abgrenzung zu anderen Medien, seiner privaten oder öffentlichen Funktion und seiner kulturellen Praxis; über die Auslotung seiner möglichen Grenzen, seiner medialen Inszenierungsformen und den Praktiken eines künstlerischen Gebrauchs; bis hin zu Fragen seiner Verwendung in Archiven und Präsentation in Museen, seiner Aufarbeitung, Restaurierung und Digitalisierung – das Fotoalbum wirft unterschiedliche Gebrauchsweisen und vielseitige Möglichkeitsräume auf, denen sich sowohl aus wissenschaftlicher und fotohistorischer Perspektive als auch aus künstlerischer und angewandter Perspektive genähert wird und die Gesten des Zeigens in den Blick nimmt.
Das Symposium findet in Kooperation mit der DGPh/Sektion Geschichte und Archive und dem Rheinischen Bildarchiv Köln im Rahmen des Programms Artist Meets Archive #3 der Internationalen Photoszene Köln statt. Es wird gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, die Kunststiftung NRW und die Stadt Köln.
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Das Programm:
I. Vom Archiv zum Fotoalbum
Moderation: Miriam Zlobinski (DGPh, Kuratorin) 9.30 Uhr Begrüßung
Michael Albers (Rheinisches Bildarchiv Köln)
Heidi Pfohl (Photoszene Köln)
Miriam Zlobinski (DGPh)
9.45 bis 11 Uhr
Einführende Gesprächsrunde mit Archivleiter:innen und Mitarbeiter:innen der an Artist Meets Archive #3 beteiligten Archive und Institutionen:
Dr. Carmen Pérez González (Museum für Ostasiatische Kunst)
Michael Albers (Rheinisches Bildarchiv Köln)
Lucia Halder (Rautenstrauch-Joest-Museum)
Nina Matuszewski (NS-Dokumentationszentrum Köln)
11 bis 11.45 Uhr
Die Archive der Alben. Überlegungen zu Sammlungen Privater Fotografie
Dr. Friedrich Tietjen (Stiftung Reinbeckhallen Berlin)
11.45 bis 12 Uhr Diskussion
II. Fotoalben im künstlerischen Kontext und ihre mediale Inszenierung
Moderation: Lucia Halder (DGPh, Rautenstrauch-Joest-Museum)12.30 bis 13.15 Uhr
Erinnern, Dokumentieren, Aufbewahren: Auktoriale Selbstinszenierungen im Fotoalbum
Dr. Kathrin Yacavone (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)
13.15 bis 14.00 Uhr
Gestaltungsstrategien in Fotoalben von Künstler:innen im Zeitraum der 1920er und 1930er Jahre
Judith Riemer (Folkwang Universität der Künste Essen)
14.00 bis 14.45 Uhr
Experimentieren, Kleben, Archivieren: Album-Praktiken deutschsprachiger Fotograf*innen im Exil in New York der 1940er Jahre
Helene Roth (Ludwig-Maximilians-Universität München)
14.45 bis 15.00 Uhr Diskussion
III. Vom Fotoalbum zum Archiv – Fotoalben in Archiven, Bildagenturen und Museen
Moderation: Miriam Zlobinski (DGPh, Kuratorin) 15.30 bis 16.15 Uhr
Über die Erhaltung und Verwertung von Fotoalben in Archiv und Bildagentur
Johanna Bose (akg-images Berlin)
16.15 bis 17.00 Uhr
Konservatorische Herausforderungen bei Fotoalben – Bestandsaufnahme und Erhaltungsmaßnahmen
Peter Konarzewski (Museum Folkwang Essen)
17.00 bis 18.00 Uhr Resumée & Abschlussdiskussion mit allen Referent:innen
Moderation: Miriam Zlobinski und Lucia Halder
Die Moderatorinnen und Archivleiterinnen/Mitarbeiterinnen der Kölner Archive und Institutionen:

Miriam Zlobinski arbeitet als Wissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin. Sie ist Mitgründerin von "ReVue - Magazin für Fotografie und Wahrnehmung" und Lehrbeauftragte an der Universität der Künste Berlin. 2016 war sie Teil der Bildredaktionsklasse an der Ostkreuzschule für Fotografie. Sie promoviert an der Humboldt-Universität zu Berlin und erhielt 2018 den Forschungspreis der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. Als Kuratorin betreute sie zuletzt die Ausstellung "In Waves #womenincovid" in Berlin, Lüneburg und Tallin.

Lucia Halder ist seit 2015 Leiterin der Fotografischen Sammlung des Rautenstrauch-Joest- Museums in Köln. Nach dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte arbeitete sie unter anderem als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und freiberufliche Ausstellungsmacherin. Halder ist Vorsitzende der Sektion Geschichte und Archive der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) und Redaktionsmitglied des Blogs www.visual-history.de

Dr. Carmen Pérez González promovierte zur Fotografie des 19. Jahrhunderts im Iran (Universität Leiden 2010) und hat mehr als 10 Jahre Erfahrung als Kuratorin an verschiedenen Museen. Von 2009 bis 2014 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für Ostasiatische Kunst und ist Autorin des Katalogs „Von Istanbul bis Yokohama – Die Reise der Kamera nach Asien 1839-1900“ (2014, Verlag Walter König). Sie ist Lehrbeauftragte an der Bergischen Universität Wuppertal und Gründerin/Ideengeberin der Tablet App „Golden Memories“ (Familienfotografie und Gedächtnistraining).

Dr. Johanna Gummlich, M.A. ist Kunsthistorikerin und seit 2010 Leiterin des Rheinischen Bildarchivs der Stadt Köln. Themenschwerpunkte ihrer Arbeit sind die Neukonzeption des Profils für das Rheinische Bildarchiv unter besonderer Berücksichtigung von Digitalfotografie, datenbankgestützter Dokumentation und Präsentationsstrategien sowie die nutzerseitige Begleitung des Archivneubaus vom Architekturwettbewerb bis zum Umzug und der Inbetriebnahme des Gebäudes. Lehraufträge an den Kunsthistorischen Instituten in Köln und Bonn sowie Kooperation mit der TH Köln.

Nina Matuszewski, Historikerin und Wissenschaftliche Dokumentarin, ist seit 2007 beim NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zuständig für den Bereich Dokumentation und Sammlungen und für das Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Köln.
Die Referent*innen und Vorträge:
Dr. Friedrich Tietjen:
Die Archive der Alben. Überlegungen zu Sammlungen Privater Fotografie
Die private Fotografie ist die mächtigste Anwendung dieses Bildmediums. Sie hat kommerziell das größte Gewicht, sie bringt mit weitem Abstand die meisten Bilder hervor, und ihr Publikum wird ähnlich groß sein wie das der journalistischen und der Werbefotografie. Dennoch wird sie – mit Ausnahmen – von Archiven nur recht selten und dann meist nur in relativ kleinen Beständen gesammelt. Welche Gründe gäbe es, an dieser Haltung etwas zu ändern? Und wie ließe sich das praktisch durchführen? Anhand von Beispielen aus der Praxis untersucht der Vortrag, warum und wie sich private Fotografie sammeln und archivieren lässt.
Dr. Friedrich Tietjen arbeitet als Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Reinbeckhallen (Berlin), wo er derzeit ein Projekt zur privaten Fotografie in Ostdeutschland 1980-2000 leitet. Ein ähnliches Projekt zur privaten Fotografie in Österreich 1930-1950 führte er mit Herbert Justnik am Volkskundemuseum in Wien durch. Er ko-organisiert die jährliche Tagung After Post-Photography und hat ausführlich zu verschiedenen Aspekten der Fotografie geschrieben. Eine Auswahl der Texte findet sich bei academia.edu.

Dr. Kathrin Yacavone:
Erinnern, Dokumentieren, Aufbewahren: Auktoriale Selbstinszenierungen im Fotoalbum
Einige der spektakulärsten frühen Alben der Fotogeschichte entstanden während des Second Empire, das der republikanische Politiker und Dichter Victor Hugo im Exil auf den englischen Kanalinseln Jersey und Guernsey verbrachte. Gemeinsam mit seiner Entourage begann sich der berühmte Schriftsteller dort der Fotografie zu widmen. In dem relativ kurzen Zeitraum von 1852 bis 1856 wurde Jersey so nicht nur zum Ort regen fotografischen Schaffens, sondern auch zur eindrucksvollen Kulisse für die Aufnahmen (vorwiegend Porträts von Victor Hugo selbst). Um 1860 hielt eine große Anzahl von diesen Salzpapierabzügen Einzug in die teils sehr aufwendig und dekorativ gestalteten Alben, von denen ein gutes Dutzend bis heute erhalten bleiben. Der Vortrag widmet sich diesem bisher wenig beachteten Material um 1) die spezifischen Selbstinszenierungsstrategien des literarischen Autors Victor Hugo in einem zentralen Kommunikationsmedium der Fotografie herauszuarbeiten; 2) die spezifischen intermedialen Formate von Fotoalben im Allgemeinen in den Blick zu bekommen; schließlich 3) ihren wechselhaften Funktionen in unterschiedlichen Aufbewahrungs- und Archivierungskontexten nachzuspüren.
Dr. Kathrin Yacavone ist Fotohistorikerin und Literaturwissenschaftlerin, und Thyssen@KWI Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Anglistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Mainz, Berlin, Edinburgh und Paris. Publikationen u.a. Benjamin, Barthes and the Singularity of Photography (2012), Photography, Portraiture and Intermedial Authorship in Nineteenth-Century France (2023), sowie jüngst Mitherausgeberschaft von zwei Heften der Fotogeschichte zu Fotoalben im 19. Jahrhundert (2021) und im 20. und 21. Jahrhundert (2022). Ihr aktuelles Forschungsprojekt widmet sich der Institutionalisierungsgeschichte der Fotografie.

Judith Riemer:
Gestaltungsstrategien in Fotoalben von Künstler:innen im Zeitraum der 1920er und 1930er Jahre
Fotoalben sind gestaltete Objekte. In den 1920er und 1930er Jahren sind sie noch stärker Teil der visuellen (Alltags-)Kultur als heute und werden auch von Künstler:innen genutzt. Die Einklebealben der Zeit ermöglichen den Albumautor:innen mit ihren leeren Seiten vielfältige Gestaltungen und Nutzungen. Mit Schere und Leim können in ihnen Fotografien in einem händischen Prozess zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Alben bieten den Künstler*innen einen Raum für gestalterische Versuche, in dem individuelle Strategien im Umgang mit Fotografien entwickelt werden können. Die Objekte befinden sich an der Schnittstelle zwischen persönlichem und künstlerischem Ausdruck. Auf welche Art und Weise sind sie mit dem jeweiligen Werk und den künstlerischen Praktiken verwoben? Welcher Stellenwert kommt dem Album im künstlerischen Umfeld zu?
Judith Riemer studierte Kunstgeschichte und Filmwissenschaft in Leipzig und Jena. Seit 2019 promoviert sie an der Folkwang Universität der Künste Essen zum Thema „Das Fotoalbum als Medium künstlerischen Ausdrucks in den 1920er und 1930er Jahren“. Sie ist Mitbegründerin der interdisziplinären Arbeitsgruppe für (Foto-)Albenforschung „forum foto+album“.

Helene Roth:
Experimentieren, Kleben, Archivieren: Album-Praktiken deutschsprachiger Fotograf:innen im Exil in New York der 1940er Jahre
1939 erstellte der deutschsprachige emigrierte Fotograf Rudy Burckhardt zusammen mit dem US-amerikanischen Dichter Edwin Denby das Album New York N. Why. Denby verfasste zu Burckhardt’s Stadtvisionen schriftliche Eindrücke, die im Album einer bestimmten Anordnung und visuellem Design folgen. Im Gegensatz zu Fotobüchern war das Album nicht als Veröffentlichung geplant und entstand ohne verlegerische Vorgaben stattdessen im Privaten. Ausgehend von New York N. Why. analysiert der Vortrag, welche unterschiedlichen Praktiken und Gestaltungsweisen emigrierte Fotograf:innen in Eigenregie oder intermedialen Kooperationen in der Konzeption von Fotoalben entwarfen. Welche urbanen und persönlichen Stadtvisionen und Emigrationserfahrungen können darüber erfahrbar werden? Wie sind diese Alben im Kontext der fotografischen Karrieren und zu anderen medialen Formen wie Fotobüchern und Scrapbooks zu deuten?
Helene Roth studierte Kunstgeschichte, Vergleichende Kulturwissenschaften und Pädagogik in München und Paris. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität und als Kunstvermittlerin für das Museumspädagogische Zentrum in München tätig. Im Rahmen des ERC-Projekts METROMOD promoviert sie zur Emigration deutschsprachiger Fotograf*innen nach New York zwischen den 1930er und 1940er Jahren. Seit Januar 2021 ist sie Stipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst e.V.

Johanna Bose:
Über die Erhaltung und Verwertung von Fotoalben in Archiv und Bildagentur
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gebrauch von Fotografie setzt historisch relativ spät ein. So gerät auch das Fotoalbum erst seit einigen Jahrzehnten in den Blick. Entsprechend wenige Untersuchungen zu den musealen Sammlungsbeständen, ihrer Logik und Systematik liegen bis heute vor. Grund dafür ist nicht zuletzt die anhaltende Privilegierung des Einzelbildes in der Fotogeschichtsschreibung wie in der Museumspraxis. Einer eigenen Logik bei der Bildung von Bildbeständen, deren Aufbereitung und Vermarktung folgen kommerziell arbeitende Agenturen. Am Beispiel der Firma ›akg-images‹ soll vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in den deutschen Museen und Archiven deren Beitrag zur Erhaltung und Verwertung von Fotoalben diskutiert werden.
Johanna Bose studierte Modedesign an der Universität der Künste Berlin und Bildwissenschaft an der Donau-Universität Krems. Sie ist für die Bildagentur akg-images (Archiv für Kunst und Geschichte) tätig und lebt in Berlin.

Peter Konarzewski:
Konservatorische Herausforderungen bei Fotoalben – Bestandsaufnahme und Erhaltungsmaßnahmen
Die konservatorische Betreuung von analogen Fotosammlungen umfasst neben künstlerischen Einzelblattfotografien auch dreidimensionale Sammlungsgegenstände, wie historische Fotoalben. Diesen Büchern hält eine einzigartige Zeugschaft inne, werden sie seit über 150 Jahre als Medien zum Sammeln, Ordnen und Aufbewahren persönlicher Erinnerung genutzt. Gleichwohl repräsentiert ihre Geschichte eine enorme Variationsbreite von physischen Formaten und ästhetischen Umsetzungsmöglichkeiten. Immer wieder stellt die komplexe Materialzusammensetzung von Fotoalben Restaurator*innen vor anspruchsvolle Herausforderungen. Sowohl die Fotografien als auch der Buchkörper sind als gleichwertig hinsichtlich der Erhaltung, der Präsentation und der Langzeitarchivierung zu betrachten. Daher muss aus ethischer Sicht die Integrität des Albums und der darin enthaltenen Fotos – gerade in Anbetracht des drohenden Wissensverlusts um die Technologie der Fotoalben – bewahrt bleiben. Wie äußert sich der unikale Charakter eines Fotoalbums? Wie wirkt sich die materialtechnische Vielfalt auf bestandserhaltende Maßnahmen aus? Ein Versuch der Implementierung allgemeingültiger Richtlinien für die Erhaltung von heterogenen Fotoobjekten.
Peter Konarzewski ist studierter Fotorestaurator und seit 2021 für das Zentrum für Fotografie am Museum Folkwang in Essen wirkend. Sein Tätigkeitsfeld umfasst die Durchführung von bestandserhaltenden Maßnahmen an unikalen Fotografien, die Betreuung von Ausstellungs- und Leihprozessen, sowie die Beratung zum Thema präventive Konservierung. In der Eigenschaft als Mitglied der Fachgruppe Fotografie an der Folkwang Universität der Künste unterrichtet er zudem die Studierenden aller Fotografie-Studiengänge in Kursen zur Materialität der Fotografie und der Fotokonservierung.
